Montag, 18. Februar 2008

Mit dem Zweiten sieht man älter (aus), oder: Bildungsauftrag à la ZDF

Eine kleine Ergänzung zum sehr treffenden Kommentar von Jens Jessen in der ZEIT vom 14. Februar hinsichtlich des immer boulevardesker (sprich: dem Privatfernsehen immer ähnlicher) werdenden Programm von ARD und ZDF und der zunehmenden Ghettoisierung anspruchsvoller Sendungen in öffentlich-rechtlichen Spartenkanälen wie 3sat und Arte. Inwiefern unser täglich TV-Brot tatsächlich immer weniger nahrhaft (sprich: dümmer) wird oder es nicht etwa schon immer war, darüber kann man streiten. Mal ehrlich, ist die einst biedere Unterhaltung à la Am laufenden Band oder Was bin ich? den lauten Trash-Formaten wie Schlag den Raab und Deutschland sucht den Superstar wirklich überlegen oder einfach nur eine andere Form des gleichen Übels, die wir heute retrospektiv als Unterhaltungsprodukte der guten alten Zeit nostalgisch verklären? Natürlich nicht, doch erfreut sich der Themenkomplex "Früher war alles besser" seit Jahrzehnten ungebrochener Popularität, auch schön zu erkennen an der glücklicherwese langsam abebbenden "Ostalgie"-Welle, aktuellen Debatten um fette Kinder (slim is the new fat!) und der derzeitige Besessenheit junger Hollywoodfilmer mit Stilmitteln des 80er-Jahre-Kinos.

Was Herr Jessen in seinem klugen ZEIT-Beitrag aber tatsächlich vergessen hat, ist, dass nicht nur Menschen mit einem IQ über Raumtemperaturniveau unbeschadet die großen öffentlich-rechtlichen Kanäle gucken möchten, sondern auch wir "jungen Hüpfer" unter 60. Vor allem das ZDF macht sich einer Programmplanung schuldig, die für ein ansatzweise gebildetes Publikum unterhalb des Rentenalters kaum zu konsumieren ist. Reihen wie Das kleine Fernsehspiel und das bereits wohlwollend von mir kritisierte Talkformat Roche+Scobel sind wochentags erst nach Mitternacht aufzufinden und/oder werden nicht konsequent fortgesetzt.


(AP Photo/Tiergarten Nürnberg, Ralf Schedlbauer)
Was uns bleibt, ist ein Start in den Tag mit dem biederen Fernsehfrühstück Volle Kanne, randvoll gepackt mit Verbrauchertipps für Hunde-, Blumenliebhaber und geriatrisch Erkrankte. Danach grüßt die ach-sooooo-niedliche "Flocke" aus dem Nürnberger Zoo und strahlen uns die Botoxbacken einer Daily Soap aus dem TV-Kasten an, bevor es dann mit der 173ten Kochshow nach VOX- und Jamie Oliver-Muster weitergeht. Ach ja, zur Mittagszeit gibt's außerdem ein weiteres Mal Volle Kanne, nennt sich aber nun Drehscheibe Deutschland und hat einen anderen Moderator. Nachmittags wiederholt sich das Spiel mit Tiersendungen und täglichen Schmonzetten, doch -welch Freude!- diesmal brandaktuell und nicht etwa in der Wiederholung wie zuvor. Es folgen anrührende Schicksale kleiner Nilpferdbabys und Dramen um eingerissene Fingernägel von C-Promis bei Charityveranstaltungen im hippen Boulevardmagazin Leute heute. Über die Zeit bis zum Beginn von heute, die mittlerweile mehr Werbeplattform für im Programm nachfolgende ZDF-Formate wie WiSo und 37Grad ist denn seriöse Nachrichtensendung, retten uns die gestandenen Recken der SoKo Leipzig, SoKo Rhein-Main, SoKo Kitzbühel, SoKo Wismar oder SoKo Kleinhinterspiekendorf. Je nach Stimmung und Wochentag gönnt man dem gebeutelten GEZ-Zahler dann abends entweder Carmen Nebel, eine unglaublich bewegende Pilcher- oder Lindström-Verfilmung, das Forsthaus-Falkenau, unseren Charlie oder ein anderes süüüüüüüßes Tier aus dem ZDF-Fundus, die im Urlaub von ihrem Kurschatten geneppte Omi in Aktenzeichen XY ...ungelöst oder aber hochseriöses Infotainment aus den Händen von Guido Knopp (Hitlers vegetarische Lieblingsrezepte) oder Theo Koll (Klassisches Frontal21-Thema: "Warum Sie als Mensch über 50 am besten gar nicht mehr Ihr Haus verlassen sollten... den die Welt da draußen ist B-Ö-S-E!"). Ins Bettlein bringt uns dann JBK, der, wenn er denn gerade nicht mit den Charmegranaten Sarah Wiener oder Johann Lafer kocht, bestimmt gerade mal wieder unglaublich fesselnde Stories aus Dieter Bohlen, Verona Poth oder Sky Dumont herausquetscht.

Liebe ZDF-Programmplaner, macht weiter so... ich bin sicher, Millionen volkstümelnder aber ansonsten soziophober Senioren danken euch für diese wöchentlich 168 Stunden leicht verdaulicher TV-Monotonie. Aber bitte, lieber Markus Schächter, klicken Sie doch bitte mal auf den Link am Fußende dieser Seite und schicken mir eine eMail, denn ich würde Ihnen gerne meine Bankverbindung mitteilen, wohin Sie die von mir in den letzten zehn Jahren gezahlten Rundfunkgebühren überweisen können. Vielen Dank.

Freitag, 28. Dezember 2007

Freaks - Missgestaltete (USA 1932) - Review [R2]

Mit Olga Baclanova, Wallace Ford, Leila Hyams u.a.
Kamera: Merritt B. Gerstad
Buch: Willis Goldbeck und Leon Gordon, nach Tod Robbins’ Kurzgeschichte Spurs
Regie und Produktion: Tod Browning




Freaks beunruhigt in seiner authentischen Darstellung des Alltags in einem fahrenden Kuriositätenkabinett bzw. Wanderzirkus noch heute. Kaum vorzustellen kann man sich, was für ein Aufschrei durch die Reihen der Zuschauer und Kritiker ging, als Tod Brownings Film 1932 erstmals veröffentlicht wurde. War es vor über 70 Jahren Ekel und Abscheu, die in weniger politisch korrekten und von größerem Unwissen über soziale Randgruppen geprägten Zeiten ein großes Kinopublikum fernhielten, so ist es heute die ungeschminkte Fremdartigkeit und Frivolität, die das Werk wohl für immer zu einem dunklen, staubigen Platz in der Videothek Ihres Vertrauens verdammt. Wie viel schockierender und vielschichtiger Freaks in seiner 90-minütigen Originalfassung war, darüber können wir heute nur noch spekulieren. Was uns bleibt ist der einstündige Blick in eine fremde und doch so nahe Welt durch die Augen eines der begnadetsten Regisseure der Stummfilmära.

Nur der außergewöhnliche Erfolg von Universals Dracula (1931) mit Bela Lugosi und sein damit kurzzeitiger Status als Golden Boy des Horrorfilms machte es Browning möglich, seine Freakshow so kompromisslos in Szene zu setzen, dass sie selbst nach rigorosen Kürzungen durch M-G-M und dem nachträglich hinzugefügten, bemüht versöhnlichen Happy End, immer noch so verstörend wirkt. Der Effekt beruht vor allem auf dem beinahe dokumentarischen Charakter der ersten Hälfte des Films, in der uns eine Unzahl an menschlichen Kuriositäten vorgestellt werden, teils sensibel porträtiert und zuweilen nur auf Running Gags auf zwei (oder gar keinen) Beinen reduziert. Da gibt es Stecknadelkopf Schlitzi, den lebenden Torso Prinz Randian, die Vogelfrau Koo Koo, das wandelnde Skelett, Kleinwüchsige, eine bärtige Dame, siamesische Zwillinge und diverse Protagonisten, die an akutem Gliedmaßenmangel leiden. Browning setzt sie alle ins Rampenlicht, manche in anrührenden Momenten – wie beispielsweise Schlitzis Zusammentreffen mit Zirkusclown Phroso (Wallace Ford), der sie (bzw. ihn, denn Schlitzi ist im wahren Leben ein Mann) mit Komplimenten über ihr neues Kleid überhäuft – oder auch nur als pointierter Scherz am Rande, wie z.B. eine kurze Szene, in welcher der bärtigen Dame kurz nach der Geburt ihrer Tochter zu deren ausgeprägter Gesichtsbehaarung gratuliert wird. D’oh!


Der für einen Großteil der Laufzeit des Films in den Hintergrund gerückte Plot des Films dreht sich um den kleinwüchsigen Hans (Harry Earles) und dessen Liebe für die hochgewachsene Schönheit Cleopatra (Olga Baclanova), die sich zunächst nur über die Avancen ihres Verehrers lustig macht und ihn nach Erkenntnis seines einer Erbschaft entstammenden Reichtums um selbigen bringen will. Dazu schmiedet sie gemeinsam mit ihrem Liebhaber Roscoe (Roscoe Ates) den Plan, den kleinen Mann zu ehelichen und ihn kurz darauf mittels Gift zu ermorden, sein Vermögen abzusahnen und dem Zirkusleben damit endgültig Lebewohl zu sagen. Wie für einen Horrorfilm angemessen zieht sie diesen Plan natürlich nicht kühl-kalkuliert durch sondern legt sich immer wieder mit ihren missgestalteten Kollegen („Dirty, slimy… Freaks!“) an und trägt ihre maliziösen Motive wenig verborgen zur Schau. Als auch der Letzte aus der Gruppe der "Freaks" ihre wahren Absichten durchschaut hat, nehmen die Deformierten grausame Rache.

Weniger als der für das Horrorgenre eher typische Plot ist die Machart des Films. Der Verzicht auf gruselig-monströses Makeup und Hollywoodstars zugunsten eines pseudo-realistischen Dokumentationsstils bietet einen ungeschönten Einblick in den realen Alltag von Randexistenzen unserer Gesellschaft, die sich trotz oder gerade aufgrund körperlicher Behinderungen in ihrem Alltag behaupten können und in ihrer eigenen kleinen Welt des Browning’schen Zirkus menschlicher handeln als ihre makellosen Zeitgenossen. Egal ob im Alltagsleben oder während des expressionistisch inszenierten Heiratsbanketts, es sind immer die augenscheinlich normalen Menschen, die sich als die wahren Monster in Brownings düsterer Fabel entpuppen. Cleo und Roscoe flüchten sich in überbordende Gehässigkeit und theatralische Gesten während ihre missgestalteten Mitmenschen in ihrem Handeln ungekünstelt und damit verletzlich erscheinen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das authentische Spiel der „Freaks“, die überwiegend Amateure sind und weniger eine Rolle spielen als vielmehr sich selbst. Schauspielprofis wie das reizende Zwillingspaar Daisy und Violet und der beinlose Johnny Eck sind die Ausnahme in einem Ensemble, in dem viele Darbietungen erstaunlich authentisch wirken. Insbesondere die Gruppe der an Mikrocephalie leidenden Pinheads um Schlitzi ist immer wieder erstaunlich in ihrer Zurschaustellung von offensichtlich realer Angst, Freude und Wut.


Dass Browning das Zirkusleben teils schamlos exhibitionistisch porträtiert und sich einer trügerisch dokumentarischen Erzählweise bedient ist moralisch sicherlich fragwürdig, damals wie heute. Ähnlich fragwürdig ist auch der Entschluss der M-G-M-Studiobosse, dem bitterbösen Ende des Films einen Epilog zu verpassen, der die Rachehandlungen der Missgestalteten indirekt verurteilt. Puristen dürfen ohne Gewissensbisse die letzten zwei Minuten des Films übersehen, da sie lediglich den verzweifelten Versuch damaliger Sittenwächter und um Einspielergebnisse besorgter Produzenten widerspiegeln, aus einem erschreckend perfiden, nihilistischen Genrefilm ein glatt gebügeltes Stück Kommerzkino zu kreieren. Der Versuch misslang, das finanziell desaströse Abschneiden an den Kinokassen bereitete Brownings Karrierehoch ein abruptes Ende, und Freaks genießt auch heute noch in vielen Kreisen den Ruf eines verruchten, ethisch fragwürdigen Films. Nicht immer ein Sehgenuss, aber ein wichtiges Stück Hollywoodgeschichte, das in keiner gut sortierten Filmbibliothek fehlen sollte.

P.S.: Anscheinend bestehen bis zum heutigen Tag Bedenken über die filmhistorische Relevanz dieses Werks. Anders lässt sich die Umtaufe von Freaks in das politisch korrekte Missgestaltete im Rahmen der deutschen Veröffentlichung kaum erklären.


Bild:
Warner präsentiert Freaks in bestmöglicher Bildqualität. Abgesehen von kleinen Verunreinigungen und einigen Bildsprüngen ist der Transfer hervorragend. Der unnötige Epilog mit Hans und Frieda leidet unter zu hohem Kontrast und Unschärfe, ist aber die einzige Schwachstelle eines ansonsten visuell vorbildlich präsentierten Films.

Ton:Die einzige Tonspur ist der englischsprachige Originalsoundtrack in mono. Die Tonqualität ist überwiegend in Ordnung, klingt aber altersgemäß recht blechern und damit gelegentlich unverständlich. Der Griff zur Fernbedienung zwecks Aktivierung der Untertitel wird wohl kaum jemandem erspart bleiben.

Untertitel:
Untertitel stehen zur Verfügung in Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Schwedisch, Türkisch, Griechisch, Portugiesisch, Tschechisch, Ungarisch, Holländisch, Arabisch und Bulgarisch. Alle Extras (mit Ausnahme des Audiokommentars) sind ebenfalls untertitelt.

Extras:Der nach Einführung des Production Codes im Jahre 1934 kreierte, moralinsaure Prolog des Films, der uns vor den Abnormitäten des Films warnen soll, ist ein interessantes Stück Zeitgeschichte. Gleiches gilt für die drei alternativen Schlusssequenzen, die von David Skal kommentiert werden. Der Filmhistoriker, dessen Tod Browning-Biographie Pflichtlektüre für alle Fans des klassischen Horrorfilms sein sollte, dominiert auch die knapp 70-minütige Doku The Sideshow Cinema, die außer der Produktionsgeschichte des Films kurze Biographien aller Hauptdarsteller und "Freaks" bietet. Sehr interessant, aber leider etwas langatmig und mit grauenhafter Zirkusmusik unterlegt. Der Audiokommentar Skals vermittelt beinahe identische Informationen zu Dreh und Darstellern ohne nervtötendes Endlosgedudel und ist daher eine gute Alternative zur Dokumentation.

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Auf einer Skala von Hervorragend – Sehr gut – Gut – Okay – Mäßig – Schlecht
Film: Hervorragend
Bild: Hervorragend (1.37:1 Full Screen)
Ton: gut (mono 1.0)
Extras: gut (Audiokommentar von David Skal, Dokumentation, Prolog, Epilog [mit Kommentar])

Freitag, 15. Juni 2007

Bin ich bereits zu alt fürs hippe ZDF? Einige kritische Worte zu ROCHE+SCOBEL

Gestern nacht feierte im ZDF eine neue Talkshow Premiere: Roche+Scobel (oder war es Roche & Scobel, oder gar Roche und Scobel?). Dass nun das von Carmen Nebel, JBK, den gar Lustigen Musikanten und Unser Charlie geprägte Programm des Zweiten Deutschen Geriatrischen Fernsehens um ein neues Format wie eine auf jungen Menschen zwischen 14 und 30 (+/-5 Jahre) zugeschnittene Talkrunde ergänzt wird, ist ja prinzipiell ein begrüßenswerter Schritt. Immerhin zahlt auch dessen weniger als 60 Jahre alte Klientel (meist) brav die GEZ-Gebühren. Übersehen wir daher nun mal in ach-so-dankbarer Laune, dass man Roche+Scobel ins tiefste Nachtprogramm beförderte und stellen uns die Frage, inwieweit man das Debüt der Sendung als gelungen bezeichnen kann.


Zunächst das Positive: Die Kombi Roche/Scobel klingt zunächst auf dem Papier sehr gut. Das dynamische Duo aus der ehemaligen VIVA2-Moderatorin und Kulturzeit-Koryphäe Scobel spricht gleichermaßen Teens und hippe Berufsjugendliche wie auch intellektuell verbrämte Twens an. Umgeben von einem seltsam steif wirkenden Publikum diskutierte man das Thema "Wie viel Rausch darf sein?". Prominente und weniger prominente Kiffer und Ex-Kiffer wie Ferris MC, Mitglieder der Band Virgina Jetzt! und ein paar Jungs und Mädels von der Kifferwiese kamen ebenso zu Wort wie selbsternannte Aufklärer und Experten aus akademischen Kreisen. Klingt soweit gut, oder? Alle Voraussetzungen für eine unterhaltsame und informative Sendung waren gegeben. Leider wußte man diese nicht kaum zu nutzen.

Zunächst einmal fiel auf, dass das Morderatoren-Duo seltsam unentspannt wirkte (ähnlich wie das Publikum, das sich vielleicht bereits als mögliches Ziel einer Live-Drogenrazzia während der laufenden Sendung wähnte). Die einstudierte Anmoderation wirkte holprig, ein Teleprompter wurde von Roche und Scobel offensichtlich vermisst. Verbale Schlagabtäusche der beiden waren offensichtlich im Vorfeld der Sendung geplant geplant worden, konnten aber selten umgesetzt werden. Viel häufiger konnte man aus der Mimik der Gastgeber die Frage "Bin ich jetzt eigentlich dran... oder wie?" herauslesen. Anflüge von Spontaneität waren eher rar, und falls sie sich doch mal in die Sendung schlichen, so sorgten sie eher für peinliche Momente. Charlotte Roches Frage an einen jungen Mann im Studio, ob denn sexuelle Enthaltsamkeit zu seinem Lebenskonzept gehöre (nachdem sie ihn zuvor als Shaolin-Mönch in spe identifiziert hatte), wurde mit einem zähneknirschenden "Öh, nö, hat sich bisher einfach nix ergeben" seinerseits beantwortet. Ferris verweigerte sich fast allen Fragen zu seiner Drogenkarriere. Und Videobotschaften der Zuschauer per WebCam erreichten das Studio/Café in dermaßen horrender Bild- und Tonqualität, dass man über den Inhalt der von ihnen gestellten Fragen oftmals nur mutmaßen konnte. Au weia!




Neben banaler Fragestellungen und ungelenker Moderation war es aber das Thema selbst, welches der Sendung den Todesstoss versetzte. Denn kaum einer der Gäste im Studio (mit Ausnahme der Berufskiffer von der Wiese) wagte es, einen gelegentlichen oder gar regelmäßigen Drogenkonsum einzugestehen. Denn könnte nicht gerade ein übelgelaunter Polizeibeamter vor dem Fernseher sitzen oder der übereifrige Staatsanwalt die Sendung im Livestream verfolgt haben? Einzig geläuterte Ex-Abhängige wie beispielsweise Armon Barth erzählten während der ersten 90 Minuten der Sendung von ihren Erfahrungen. Fast könne man meinen, die gesamte Hundertschaft der grün- und rothaarigen, x-fach gepierceten Pseudo-Punks würde selbst einem Schlückchen Bier mit größtmöglicher Kritik begegnen. So wartete man dann auch spätestens nach dem 154ten "Ich bin jetzt clean" und "Das Kiffen zieht dich doch voll runter, ey" auf eine mutige Aussage, die Probleme und Vorzüge des kontrollierten Rauschs konkret benennt. Und plötzlich, kurz vor Schluss der Sendung in den frühen Morgenstunden, erschien ein gar lustiges Grüppchen namens Drugscouts, die sich für Vor-Ort-Tests harter und softer Rauschmittel in Diskotheken stark machen. So endete die Show dann überraschenderweise mit deren Aussage, man könne sich ruhig gelegentlich so einiges an Chemie einschmeißen, solange die Reinheit des konsumierten Stoffes zuvor geprüft wurde.
Wie meinen? Und so was im Opa- und Omasender ZDF... ich bin schockiert *kopfschüttel*
Um mit ein paar versöhnlichen Worten zu schließen: auch wenn das Konzept von Roche+Scobel noch einiger Nachbesserung bedarf, ist doch das ZDF auf dem richtigen Weg damit, neben dem kleinen Fernsehspiel eine weitere Sendung Sendung in ihrem Nachtprogramm zu etablieren, die man sich auch als unter-Fünfzigjähriger ohne Schamesröte im Gesicht ansehen kann. Gerade von Gerd Scobel, dem für Kulturzeit und delta mit Grimme-Preis geadeltem Anchorman von 3sat, erwarte ich noch so einiges. Selbst spätere Kultformate wie die Harald Schmidt Show bei Sat1 und der Polittalk Hart aber fair legten bekannterweise einen holprigen Start aufs Parkett. So heißt es denn abwarten und Däumchen drücken für die neue Talkshow, der ein wenig Zeit und Reife sicherlich zu Größerem verhelfen wird. Und denkt immer dran, Charlotte und Gerd: die Aufzeichnung eurer Sendung läuft weit nach Mitternacht, also zu einer Zeit, zu der die gesamte Geschätsführung des ZDF schon lange die dritten Zähne zur Seite und sich selbst ins gemütliche Bettchen gelegt hat. Nur übermüdete Teens und Twens sehen noch zu. Nutzt eure Narrenfreiheit!

Donnerstag, 14. Juni 2007

Ein Hoch auf die kreativen Köpfe bei UNIVERSAL!


...denn wer könnte sich einen hübscheren, witzigeren und subtileren deutschen Titelzusatz für die neue Komödie der Shaun of the Dead (2004)-Macher Edgar Wright und Simon Pegg wünschen als Zwei abgewichste Profis? Nun ja, hüllen wir einfach den Mantel tiefsten Schweigens darüber und konzentrieren uns auf das Wesentliche: Heute startet Hot Fuzz, der wohl einzige das Ansehen lohnende Sommerblockbuster dieses Jahres (zumindest in good ole Germany, denn in seiner britischen Heimat lief der Streifen bereits im Winter!). Mindestens ebenso gut wie Shaun, blutig, zum Brüllen komisch und actionreich. Und jetzt lest zum 265ten Mal auf dieser Seite...


Anschauen!



In der englischen Originalfassung!



In einem mit donnerndem Surroundklang ausgestatteten Kino deiner Wahl!



Bitte!

Montag, 4. Juni 2007

Not Just the Best of The Larry Sanders Show (USA 1992-1998) - Review [R1]

Eine in unseren Landen fast unbekannte US-Comedyserie zu rezensieren, kann ganz schön schwierig werden. Immerhin dürften nur die wenigsten teutonischen TV-Konsumenten mit Garry Shandlings Kult-Sitcom The Larry Sanders Show (1992-1998) vertraut sein. Ende der 90er, nachdem RTL sein Kontingent alter Cheers- und Eine schrecklich nette Familie-Episoden aufgebraucht hatte, versteckte man die Serie im tiefsten Nachtprogramm, damit auch ja nicht allzu viele potentielle Zuschauer überhaupt deren Existenz bewusst werden konnten (ein Schicksal, das die Larry Sanders Show hierzulande mit Für alle Fälle Fitz und den Sopranos teilte). Meine Erinnerungen an Larry, Artie, Hank und Co. waren seitdem schon fast verblasst, zumal ich damals, umständehalber (a.k.a. Zivildienstzeit a.k.a. Zeit des Vollrausches), fast alle bei RTL gezeigten Folgen unter erheblichem Alkoholeinfluss in Anwesenheit meines gelegentlich enervierenden Kumpels Schildi (Name geändert) konsumiert hatte. Hält die Serie also auch meinem heutigen, nüchtern-kritischem Auge noch Stand, oder handelt es sich um den üblichen Comedy-Dreck, den ein Jahrzehnt voll trügerischer Nostalgie hat zu Gold werden lassen?


The Larry Sanders Show erzählt vom Alltag hinter den Kulissen einer täglichen LateNight-Talkshow. Larry (Garry Shandling), sein Sidekick Hank (Jeffrey Tambor) und Manager Artie (Rip Torn) geben in dieser von sexuell frustrierten Gagschreibern, zynischen Sekretärinnen und neurotischen Talkgästen den Ton an. Larry vereint all diese Charaktereigenschaften in sich: beziehungsunfähig, ständig frustriert, unsensibel gegenüber seine Angestellten und doch zutiefst verletzlich schlägt er sich durch seinen Job. Einzig sein Mann fürs Grobe Artie hilft ihm, so manchen Tag ohne den Griff zur Flasche oder ein paar bunten Pillen durchzustehen. Vielleicht ist es aber auch die Gewissheit, dass es seinem Freund und Kollegen Hank, dessen gekränktes Ego und Unsicherheit sich regelmäßig in cholerischen Anfällen entlädt, viel schlechter geht als ihm. Und: Larry ist berühmt, beliebt, wird von Frauen begehrt, von seinen Angestellten angehimmelt und hat (fast) alles unter Kontrolle… oder zumindest glaubt er das... hofft er das... zeitweise.


Shandling wird in seinen Eskapaden von einem wunderbaren Ensemble getragen. Neben dem wunderbar stoisch agierenden Torn und einem zwischen Selbstmitleid und Größenwahn wandelnden Tambor sorgen Penny Johnson (die böse, böse First Lady aus der TV-Serie "24"), Komikerin Janeane Garofalo ("The West Wing"), Mary Lynn Rajskub ("24") und The Daily Show-Gastgeber Jon Stewart in Gast- oder Nebenrollen für Lacher. Neben dem Auftreten vieler Stars aus dem Showbusiness (u.a. David Letterman, Robin Williams, David Duchovny, Roseanne Barr-Arnold-Whatever, Jim Carrey, Sharon Stone, Sean Penn, Elvis Costello, um nur einige derer zu nennen, die in den sechs Jahren der Show Bastard-Versionen ihrer selbst spielten) ist es vor allem die Inszenierung der Serie, welche die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen lässt. Während die Talkshow-Segmente auf Video aufgenommen wurden, bediente man sich für die normalen Spielszenen mehrer parallel auf grobkörnigem 16mm filmender Handkameras. Gepaart mit den intelligenten, schwarzhumorigen Skripts, einem gehörigen Schuss Improvisationstalent aller Beteiligten und der für den US-Kabelsender HBO typischen Redefreiheit ("Fuck you, Larry!") wurde dieser Drehstil stilprägend für Comedyshows jüngerer Zeit wie The Office, Extras [Review] und Curb Your Enthusiasm, die sich allesamt nicht vor ihrem großen Vorbild verstecken müssen.




Sony Home Entertainment veröffentlichte im April 2007, AFAIK nach jahrelangem Streit mit Rechteinhaber Brad Grey, 23 von Garry Shandling höchstpersönlich ausgewählte Episoden der Kultserie als 4-DVD-Set. Not Just the Best of The Larry Sanders Show macht seinem Namen alle Ehre: viele der enthaltenen Epsioden gehören zu den absoluten Highlights der Serie und bilden einen repräsentativen Querschnitt der wahnwitzigen Problemsituationen, in welche Larry Sanders in den sechs Jahren der Show, oftmals selbst verschuldet, geriet. Bild- und Tonqualität gehen für eine auf Video und preiswertem Filmmaterial gedrehte US-Show aus den 90ern völlig in Ordnung, allein über englische Untertitel hätte man sich noch gefreut. Das von Shandling produzierte Bonusmaterial gehört mit zum Feinsten, was sich jemals auf ein digitales Silberscheibchen verirrt hat. Neben informativen Audiokommentaren, Deleted Scenes und Interviews findet sich eine ca. 80-minütige Dokumentation über die Entstehungsgeschichte der Show. Sehr informativ und witzig, doch das Beste an diesem gar wunnebaren DVD-Set sind die Hausbesuche Shandlings bei Gaststars der Show: wir sehen ihn beim Frühstück mit Sharon Stone, im Boxring gegen Alec Baldwin, im Central Park mit Jerry Seinfeld, und beim Philosophieren mit Tom Petty. Letzteres Zusammentreffen, wie auch seine tränenreiche Begegnung mit Ex-Verlobter Linda Doucett (spielte Hanks Assistentin Darlene), ist nicht nur kurzweilig sondern ebenso hochemotional und lässt vermuten, dass die Produktion der DVD nicht nur eine Herzensangelegenheit für Shandling war sondern gleichermaßen auch Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit und Selbsttherapie. Einer Antwort auf die Frage, inwiefern Garry seinem alter Ego Larry ähnelt und umgekehrt, ist man jedenfalls nach Sichtung von Not Just the Best of The Larry Sanders Show ein gutes Stück näher gekommen. Allein hierfür sollte jeder Fan und aufgeschlossene Nicht-Fan seine Kreditkarte zücken und sich diese einmalige TV-Show einverleiben.